Schuldenbremse? Investitionsbremse!
Seit ca einem Jahrzehnt existiert auf Bundesebene ebenso wie in Sachsen eine sogenannte „Schuldenbremse“. Sie verbietet im weitesten Sinne die Neuverschuldung der Länder und beschränkt diese für den Bund auf 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts. Ausnahmen gibt es für Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen. Die Regelungen dafür sind im Grundgesetz bzw. in der Verfassung des Freistaates Sachsen festgeschrieben — es bedurfte also für ihre Einführung als auch für mögliche Veränderungen einer 2/3‑Mehrheit in den jeweiligen Parlamenten.
Seit geraumer Zeit schlägt nun DIE LINKE vor, die Schuldenbremse wieder zu streichen, sie zu verändern oder wenigstens auszusetzen. Wir stehen mit diesen Forderungen nicht allein. Bereits 2021 forderten über 100 sächsische Gewerkschaften, Verbände und Initiativen grundsätzliche Änderungen. (DGB Sachsen). Sie sagen: „Wir appellieren nachdrücklich an alle Fraktionen, die Tilgungsfristen möglichst weit zu strecken und die Verfassung zu ändern, um nachfolgende Generationen nicht mit maroden Strukturen zu belasten.“ Damit wird das Problem auf den Punkt gebracht: der Verzicht auf notwendige Investitionen hinterlässt zukünftigen Generationen nicht nur verrottete Strukturen, sondern darüber hinaus eine deutlich größere finanzielle Last. Es ist vergleichbar mit einem Dach, dem ein Ziegel fehlt. Ja, die Reparatur kostet Geld. Der Verzicht auf die notwendige Reparatur lässt jedoch den Schaden in sehr kurzer Zeit deutlich größer werden. Im Ergebnis führt also die Investitionsbremse dazu, im übertragenen Sinne sowohl mit einem löchrigen Dach auszukommen als auch deutlich höhere finanzielle Aufwendungen in der Zukunft tätigen zu müssen. Das leuchtet mit Sicherheit auch der armen „schwäbischen Hausfrau“ ein, die unfairer Weise immer zur Begründung dieser wirtschafts- und finanzpolitischen Unsinnigkeit herbeigezerrt wurde.
Die Behauptung, die Schuldenbremse würde im Sinne der „Generationengerechtigkeit“ den zukünftigen weniger Lasten aufbürden, ist nachweislich falsch. Der Chef des DIW, Prof. Marcel Fratzscher hat dies vor kurzem wie folgt zusammengefasst: „Deutschland hat heute keine solide Finanzpolitik. Der deutsche Staat lebt seit 20 Jahren mit seinen negativen Nettoinvestitionen von seiner Substanz.“ „Negative Nettoinvestition“ klingt sehr kompliziert, ist aber eine einfache Sache: Der Staat kommt seiner Aufgabe, öffentliche Infrastruktur zu erhalten, nicht nach. Daher zerfällt mehr, als repariert oder neu gebaut wird. Unser Dach hat also inzwischen schon seit zwanzig Jahren ein Loch, es wird Jahr für Jahr größer und die Marktgläubigen, die bisher vor allem bei Union, Liberalen und Rechtsaußen zu finden sind, lügen ihr Generationenmärchen weiter.
Aber unsere Herausforderungen sind inzwischen für jeden sichtbar deutlich größer, als der einfache Erhalt öffentlicher Infrastruktur. Zum einen sind die enormen Herausforderungen des Klimawandels nur dann zu stemmen, wenn diese als Aufgabe der gesamten Gesellschaft begriffen werden — und eben nicht als mehr oder weniger dringliche Aufforderung an Hausbesitzer, die eigene Heizung zu wechseln. Dies wird der „Markt“ nicht leisten — denn dieser leistet im Kern nur zwei Sachen: auf der einen Seite die Erhöhung privater Profite und natürlich den Untergang von Unternehmen, die zuwenig Profit abwerfen. Wer jedoch will, dass weiter gesellschaftlicher Reichtum auch hier in Sachsen produziert wird, mit guten Löhnen und Arbeitsplatzsicherheit, sauberer Energie und schonenden Umgang mit Ressourcen, der weiß, dass in enormen Umfang auch hier investiert werden muss.
Zugleich haben zB die Amerikaner ein gigantisches Programm aufgelegt, mit dem im nächsten Jahrzehnt bis zu 1200 Milliarden Dollar zum Umbau und Schutz von Industrie und Arbeitsplätzen bewegt werden. Das ist der sogenannte „Inflation Reduction Act“ (The White House). Mit der „Made in China 2025“ Strategie (ifo-Institut) strebt auf der anderen Seite des Pazifik eine weitere Großmacht an, zum Konkurrenten um Zukunftstechnologien zu werden — und dies ebenso mit gigantischen Investitionen.
Vor diesen beiden Hintergründen ist die deutsche und die sächsische Schuldenbremsengläubigkeit nicht nur von gestern, sondern ein grotesker Fehler. Die Zukunft der Menschen aller Generationen hier in Sachsen wird nicht einfach nur riskiert. Sondern sie wird hier und jetzt auf dem Altar der Marktgläubigkeit geopfert.
Wer also jetzt nicht investiert, dem werden sehr bald Wirtschaftskrisen ungeahnten Ausmaßes und Naturkatastrophen genug Grund geben, das Staatsdefizit auszuweiten. Nur eben dann unter der Bedingung, dass der Schaden bereits eingetreten ist. Auch hier gilt wie in der Vergangenheit so oft: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
DIE LINKE im Sächsischen Landtag wird in diesem Sinne die Veränderung der Verfassung des Freistaates vorschlagen und beantragen.
— Stefan Hartmann, am 28. November 2023