Stefan Hartmann spricht auf dem Landesparteitag von DIE LINKE Sachsen.
© Christopher Colditz

Schuldenbremse? Investitionsbremse!

Seit ca einem Jahrzehnt existiert auf Bun­de­sebene eben­so wie in Sach­sen eine soge­nan­nte „Schulden­bremse“. Sie ver­bi­etet im weitesten Sinne die Neu­ver­schul­dung der Län­der und beschränkt diese für den Bund auf 0,35 % des Brut­toin­land­spro­duk­ts. Aus­nah­men gibt es für Naturkatas­tro­phen und Wirtschaft­skrisen. Die Regelun­gen dafür sind im Grundge­setz bzw. in der Ver­fas­sung des Freis­taates Sach­sen fest­geschrieben — es bedurfte also für ihre Ein­führung als auch für mögliche Verän­derun­gen ein­er 2/3‑Mehrheit in den jew­eili­gen Par­la­menten.

Seit ger­aumer Zeit schlägt nun DIE LINKE vor, die Schulden­bremse wieder zu stre­ichen, sie zu verän­dern oder wenig­stens auszuset­zen. Wir ste­hen mit diesen Forderun­gen nicht allein. Bere­its 2021 forderten über 100 säch­sis­che Gew­erkschaften, Ver­bände und Ini­tia­tiv­en grund­sät­zliche Änderun­gen. (DGB Sach­sen). Sie sagen: „Wir appel­lieren nach­drück­lich an alle Frak­tio­nen, die Tilgungs­fris­ten möglichst weit zu streck­en und die Ver­fas­sung zu ändern, um nach­fol­gende Gen­er­a­tio­nen nicht mit mar­o­den Struk­turen zu belas­ten.“ Damit wird das Prob­lem auf den Punkt gebracht: der Verzicht auf notwendi­ge Investi­tio­nen hin­ter­lässt zukün­fti­gen Gen­er­a­tio­nen nicht nur ver­rot­tete Struk­turen, son­dern darüber hin­aus eine deut­lich größere finanzielle Last. Es ist ver­gle­ich­bar mit einem Dach, dem ein Ziegel fehlt. Ja, die Reparatur kostet Geld. Der Verzicht auf die notwendi­ge Reparatur lässt jedoch den Schaden in sehr kurz­er Zeit deut­lich größer wer­den. Im Ergeb­nis führt also die Investi­tions­bremse dazu, im über­tra­ge­nen Sinne sowohl mit einem löchri­gen Dach auszukom­men als auch deut­lich höhere finanzielle Aufwen­dun­gen in der Zukun­ft täti­gen zu müssen. Das leuchtet mit Sicher­heit auch der armen „schwäbis­chen Haus­frau“ ein, die unfair­er Weise immer zur Begrün­dung dieser wirtschafts- und finanzpoli­tis­chen Unsin­nigkeit her­beigez­er­rt wurde.

Die Behaup­tung, die Schulden­bremse würde im Sinne der „Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit“ den zukün­fti­gen weniger Las­ten auf­bür­den, ist nach­weis­lich falsch. Der Chef des DIW, Prof. Mar­cel Fratzsch­er hat dies vor kurzem wie fol­gt zusam­menge­fasst: „Deutsch­land hat heute keine solide Finanzpoli­tik. Der deutsche Staat lebt seit 20 Jahren mit seinen neg­a­tiv­en Net­toin­vesti­tio­nen von sein­er Sub­stanz.“ „Neg­a­tive Net­toin­vesti­tion“ klingt sehr kom­pliziert, ist aber eine ein­fache Sache: Der Staat kommt sein­er Auf­gabe, öffentliche Infra­struk­tur zu erhal­ten, nicht nach. Daher zer­fällt mehr, als repari­ert oder neu gebaut wird. Unser Dach hat also inzwis­chen schon seit zwanzig Jahren ein Loch, es wird Jahr für Jahr größer und die Mark­t­gläu­bi­gen, die bish­er vor allem bei Union, Lib­eralen und Recht­saußen zu find­en sind, lügen ihr Gen­er­a­tio­nen­märchen weit­er.

Aber unsere Her­aus­forderun­gen sind inzwis­chen für jeden sicht­bar deut­lich größer, als der ein­fache Erhalt öffentlich­er Infra­struk­tur. Zum einen sind die enor­men Her­aus­forderun­gen des Kli­mawan­dels nur dann zu stem­men, wenn diese als Auf­gabe der gesamten Gesellschaft begrif­f­en wer­den — und eben nicht als mehr oder weniger dringliche Auf­forderung an Haus­be­sitzer, die eigene Heizung zu wech­seln. Dies wird der „Markt“ nicht leis­ten — denn dieser leis­tet im Kern nur zwei Sachen: auf der einen Seite die Erhöhung pri­vater Prof­ite und natür­lich den Unter­gang von Unternehmen, die zuwenig Prof­it abw­er­fen. Wer jedoch will, dass weit­er gesellschaftlich­er Reich­tum auch hier in Sach­sen pro­duziert wird, mit guten Löh­nen und Arbeit­splatzsicher­heit, sauber­er Energie und scho­nen­den Umgang mit Ressourcen, der weiß, dass in enor­men Umfang auch hier investiert wer­den muss.

Zugle­ich haben zB die Amerikan­er ein gigan­tis­ches Pro­gramm aufgelegt, mit dem im näch­sten Jahrzehnt bis zu 1200 Mil­liar­den Dol­lar zum Umbau und Schutz von Indus­trie und Arbeit­splätzen bewegt wer­den. Das ist der soge­nan­nte „Infla­tion Reduc­tion Act“ (The White House). Mit der „Made in Chi­na 2025“ Strate­gie (ifo-Insti­tut) strebt auf der anderen Seite des Paz­i­fik eine weit­ere Groß­macht an, zum Konkur­renten um Zukun­ft­stech­nolo­gien zu wer­den — und dies eben­so mit gigan­tis­chen Investi­tio­nen.

Vor diesen bei­den Hin­ter­grün­den ist die deutsche und die säch­sis­che Schulden­brem­sen­gläu­bigkeit nicht nur von gestern, son­dern ein grotesker Fehler. Die Zukun­ft der Men­schen aller Gen­er­a­tio­nen hier in Sach­sen wird nicht ein­fach nur riskiert. Son­dern sie wird hier und jet­zt auf dem Altar der Mark­t­gläu­bigkeit geopfert.
Wer also jet­zt nicht investiert, dem wer­den sehr bald Wirtschaft­skrisen ungeah­n­ten Aus­maßes und Naturkatas­tro­phen genug Grund geben, das Staats­de­fiz­it auszuweit­en. Nur eben dann unter der Bedin­gung, dass der Schaden bere­its einge­treten ist. Auch hier gilt wie in der Ver­gan­gen­heit so oft: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“

DIE LINKE im Säch­sis­chen Land­tag wird in diesem Sinne die Verän­derung der Ver­fas­sung des Freis­taates vorschla­gen und beantra­gen.

— Ste­fan Hart­mann, am 28. Novem­ber 2023